Beidhändige Kommunikation: Mode oder Chance?

Ambidextrie und die Möglichkeiten für die interne Kommunikation

Ambidextrie und die Möglichkeiten für die interne Kommunikation

Können Sie beide Hände gleichzeitig geschickt einsetzen? Oder kennen Sie jemanden, der zugleich Links- und Rechtshänder ist? Diese Fähigkeit – Ambidextrie genannt – ist zugegebenermaßen selten. Nun taucht dieser medizinische Fachbegriff seit einigen Jahren auch im Unternehmenskontext auf: Beidhändige Unternehmen verbinden das Bestandsgeschäft und Innovationen scheinbar mühelos.

Der Begriff Ambidextrie tritt inzwischen so gehäuft auf, dass die F.A.Z. ihn zum Unwort 2018 gekürt hat. Zu Unrecht, wie ich finde und breche eine Lanze: Ambidextrie eröffnet für Sie in der internen Kommunikation neue Möglichkeiten. Sie können Ihren Wirkungsraum erweitern oder Ihre Aufgaben und Rollen (erneut) überdenken und auch schärfen.

Sind Sie neugierig geworden? Dann lesen Sie doch gleich meine Einführung zur Ambidextrie und den möglichen Einsatz in Ihrer internen Kommunikation:

Was bedeutet Ambidextrie überhaupt?

Organisationale Ambidextrie oder Beidhändigkeit beschreibt die Fähigkeit, dass Organisationen das Bestands- oder Kerngeschäft managen und es weiter optimieren. Und gleichzeitig gehen sie neue Wege durch Forschung und Innovation. Kurz gefasst: Die eine Seite sichert das Geld, die andere sichert die Zukunftsfähigkeit.

Der Gedanke bzw. die Erfahrung dahinter: Unternehmen erkennen, dass sie sich nicht nur klassisch oder nur innovativ ausrichten sollten. Sie können es sich nicht erlauben, nur auf das Bestandsgeschäft zu setzen und die Neuentwicklung von Produkten, Dienstleistungen oder Geschäftsmodellen zu vernachlässigen. Oder vielleicht sogar zu verschlafen. Und nur auf Neuentwicklungen zu setzen, die dann vielleicht nicht den erwünschten Erfolg bringen, ist zu risikobehaftet. Das könnte die Existenz gefährden. Ambidextrie vereint beides.

Wie ist Ihr Unternehmen unterwegs? Finden Sie sich hier wieder?

Interessant finde ich, dass Ambidextrie schon vor knapp 50 Jahren in den organisationalen Kontext übertragen wurde. So neu und „buzzig“ ist dieser Gedanke also nicht, er erhält aber durch die Digitalisierung neuen Aufwind.

Exploitation und Exploration – zwei Arten der Herangehensweise

Mitarbeitende in beidhändigen Organisationen sind also mit zwei unterschiedlichen Arten der Herangehensweise konfrontiert. Dafür gibt es zwei Fachbegriffe, die der amerikanische Organisationsforscher James G. March geprägt hat:

Exploitation bezeichnet die Verbesserung oder Optimierung des bestehenden operativen Geschäfts. March spricht auch von Veredelung. Mitarbeitende bewegen sich – vorwiegend – in festen Strukturen, Regeln und wiederkehrenden Mustern.

Exploration beschreibt die Tätigkeiten im Unternehmen, die Innovationen vorantreiben. Mitarbeitende experimentieren, gehen Risiken ein und lernen aus Fehlschlägen.

Es geht dabei nicht darum, diese beiden Arten zu verschmelzen, sondern immer wieder bewusst zu überprüfen, wo und wann welche Art sinnvoll ist. Eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Ambidextrie ist also, dass Führungskräfte und Mitarbeitende diese beiden Herangehensweisen je nach Anforderung ausbalancieren.

Führungskräfte und Mitarbeitende sind in ambidexten Unternehmen also immer wieder aufs Neue herausgefordert: Wann und wo macht es Sinn, auf Produktivität zu achten und bestehende Prozesse zu verbessern? Und wann und wo macht es Sinn, in Innovationsthemen zu investieren, die sich erst langfristig rentieren werden? Wer entscheidet, welche Seite Sinn macht? Aber auch kulturelle Fragen stellen sich. z. B.: Welche Seite wird mehr wertgeschätzt? Wieso darf eine Seite das „Geld verbrennen“?

Drei Spielfelder für die interne Kommunikation im ambidexten Umfeld

Und wie können Sie nun zu einem erfolgreichen Zusammenspiel beitragen? lch sehe drei „Hauptspielfelder“. Klären Sie zunächst allerdings Ihre mitspielenden Schnittstellen (z. B. HR, Organisationsentwicklung, Führungskräfte): Wer sieht auf welchem Platz welche Aufgaben? Wo ist welche Kompetenz vorhanden?

Feld 1: Interne Kommunikation auf dem exploitierenden Spielfeld

Die Kommunikation läuft eher hierarchisch, top-down und stärker formalisiert ab. Es handelt sich verstärkt um „berichterstattende“ Kommunikation. Das Denk- und Handwerkszeug ist Ihnen bekannt: die strategische Konzeptentwicklung sowie das journalistische Texten. Instrumentell ist alles erlaubt, was zu den kommunikativen Zielen, den Bezugsgruppen und den Botschaften und Themen passt.

Feld 2: Interne Kommunikation auf dem explorativen Spielfeld

Hier geht es darum, die interne Kommunikation so zu gestalten, dass Kreativität und Innovationskraft gestärkt werden. Aufgabe ist es, Personengruppen zu vernetzen, selbstorganisiertes Arbeiten zu fördern und eine hierarchiefreie Kommunikation zu ermöglichen. Sehen Sie diesen Bereich als Ihr Tätigkeitsfeld an? Diese „austauschförderne“ Kommunikationsart gehört oft nicht in die Stellenbeschreibung der IK-Manager. Können Sie sich dennoch diese Aufgaben vorstellen? Falls ja: Sie brauchen Kenntnisse in der Netzwerkkommunikation, der Moderation bzw. dem Facilitating, aber auch im (agilen) Coaching und in der (agilen) Supervision. Sie sollten sich u.a. mit agilen Methoden, Design-Thinking und systemischer Gesprächsführung und Gruppendynamik auskennen.

Feld 3: Brückenbau zwischen Exploitation und Exploration

Hier geht es um kommunikativen und kulturellen Brückenbau zwischen den beiden Herangehensweisen, was ich besonders spannend finde. Bausteine der Brücke sind u.a.

Sinn und Zweck

Vermitteln Sie das „Big Picture“. Wieso arbeitet Ihre Organisation nach dem Konzept der Ambidextrie? Was sind Vor-, aber auch Nachteile? Wie genau wird es aussehen? Was sind die ersten Schritte auf dem Weg zum beidhändigen Unternehmen? Was bedeutet dies für die Führungskräfte und die Mitarbeitenden?

Wertschätzung

Ambidexte Unternehmen brauchen eine Atmosphäre, in der Beschäftigte das „Andere“ respektieren. Vorurteilsfrei über den Tellerrand des eigenen Bereiches zu blicken, zu diskutieren und zu voneinander zu lernen, ist wichtig. Gestalten Sie den Rahmen für eine wertschätzende Kommunikationskultur, z. B. indem Sie den Austausch und damit das Verständnis untereinander fördern.

Feedback und Konfliktmanagement

Mitarbeitende in ambidexten Unternehmen müssen Widersprüche aushalten. Konflikte werden auftauchen, z. B. über unterschiedliche Ziele oder über Ressourcenverteilung. Hier kann eine Metakommunikation mit Feedbackregeln helfen. Auch der konstruktive Umgang mit Konflikten sollte geübt werden. Hilfreich ist es, sich mit unterschiedlichen Eskalationsstufen auszukennen und sich frühzeitig (interne oder externe) Hilfe zu holen.

Instrumenteneinsatz mit Köpfchen

Wählen Sie Ihre Instrumente bewusst aus. Welche Aufgabe bzw. welches Problem soll mit dem Instrument gelöst werden? Befördern die Instrumente einen Austausch? Schaffen sie eine vertrauensvolle Atmosphäre? Wer wird sich ausgeschlossen fühlen? Welche Instrumente werden von den Führungskräften eingesetzt?

Reflexionsfragen zur Ambidextrie in der internen Kommunikation

Habe ich Ihnen Lust gemacht, sich mit dem Thema Ambidextrie weiter zu beschäftigen? Mit diesen Reflexionsfragen könnte der Einstieg gelingen:

  • Wissen Sie genug über das Thema?
  • Wo steht Ihr Unternehmen? Geht es um aktuelle Wertschöpfung oder um Zukunfts- und Innovationsthemen?
  • Welche Bedeutung messen Sie dem Thema Ambidextrie in Ihrem Unternehmen bei?
  • Zu welcher Seite tendieren Sie vom Typ her – zur Exploitation oder zur Exploration?
  • Und wie arbeiten Sie bzw. Ihr Team?
  • Welche Rolle(n) wollen und können Sie übernehmen?
  • Benötigen Sie weitere Kompetenzen, zum Beispiel auf dem Gebiet der Moderation, des Coachings oder der Organisationsentwicklung?
  • Welche Art der Kommunikation wäre in Ihrer Organisation notwendig, um eine Diskussion zur Ambidextrie anzuregen?

Ich finde: Ambidexte Organisationen machen in digitalen Zeiten Sinn. Die Gestaltung ist allerdings höchst voraussetzungs- und anspruchsvoll. Eine kluge, wirksame interne Kommunikation unterstützt die Transformation, gewährleistet den notwendigen Austausch und verringert Reibungsverluste. Falls Sie mit von der Partie sind: Viel Erfolg!

Weiterlesen? Weiterdenken?

Ursprung des Wortes Ambidextrie: Der Ursprung stammt aus dem Latein: ambo = beide, dexter= rechte Hand. Interessanterweise wird im Wortursprung „nur“ von zwei rechten Händen gesprochen.

Vertiefung: Wollen Sie sich zu dem Thema weiter „aufschlauen“? Dann lesen Sie die Dissertation des Psychologen Tobias Keller: „Verhalten zwischen Exploration und Exploitation. Ein Beitrag zur Ambidextrieforschung auf der organisationalen Mikroebene“.


1 Kommentar
15.05.19, 17:33 Uhr

Interessanter Artikel. Danke!

icon to top