Wirkt analoges oder digitales Lesen besser?

Leseforschung für die interne Kommunikation nutzen

Digitales Lesen in der internen Kommunikation

Schaffen Sie gerade Ihr Mitarbeitermagazin ab, weil es nicht mehr zeitgemäß ist? Worauf basiert Ihre Entscheidung: auf Erfahrungen, Bauchgefühl oder konzeptionell-strategischen Erwägungen? Vielleicht warten Sie noch einen Moment und nutzen die Erkenntnisse der aktuellen Leseforschung für Ihre interne Kommunikation.

Gedruckte Instrumente zugunsten digitaler Kommunikation abschaffen? Diese Frage sollten wir uns laut Leseforschung nicht stellen. Es geht nicht darum, sich auf eine Seite zu schlagen und das EINE Medium zu etablieren. Es geht darum, für die unterschiedlichen Leseanlässe, die Fähigkeiten und Bedürfnisse das jeweils richtige Medium zu finden. Das sagt Anne Mangen. Sie ist norwegische Professorin für Leseforschung und gehört der Initiative „E-READ“ (Evolution of Reading in the Age of Digitisation) an. Seit 2014 untersuchen über 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interdisziplinär die Entwicklung des Lesens im digitalen Zeitalter. Die Forschung lässt einige Schlüsse für unsere Arbeit in der internen Kommunikation und die Medienauswahl zu.

Welche Vorteile bringt digitales Lesen?

„Digital ist besser!“ Diese Aussage können die Wissenschaftler im Moment nicht bestätigen. Was mich besonders überrascht: Die digitale Leseforschung steckt noch in den Kinderschuhen. Da die Berichterstattung über digitale Kommunikation omnipräsent ist, dachte ich, dass die Leseforschung weiter wäre.

Über allgemeine Vorteile beim digitalen Lesen ist sich die Initiative allerdings einig: Inhalte sind schnell verfügbar – unabhängig von Raum und Zeit – und lassen sich leicht speichern. Für Textmengen gibt es keine Grenzen. Buchstabengröße und Helligkeit lassen sich auf die eigenen Bedürfnisse unkompliziert anpassen, Textstellen sind schnell gefunden und leicht markiert. Was mich überrascht: Bessere Argumente gibt es zurzeit nicht.

Schnellere Ablenkung beim digitalen Lesen?

Interessant finde ich, dass die Leseforscher das Lesen am PC, auf dem Tablet, auf dem Smartphone, auf dem E-Reader unterscheiden. Sie plädieren dafür, den Einsatz digitaler Endgerät bewusst zu wählen. Der Grund: Wir lassen uns beim Lesen auf dem Smartphone schneller durch Apps und Messenger ablenken. Es entsteht eine gewisse Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit. Hier ist Selbstkontrolle der Leserinnen und Leser gefragt. Oder der Griff zu einem anderen digitalen Gerät.

Womit erinnern wir uns besser?

Lesen auf dem Papier hat (noch) klare Vorteile: Längere, kompliziertere Texte verstehen Leserinnen und Leser leichter auf dem Papier. Und noch ein Argument: „Wir erinnern uns besser, wenn wir das Gelesene physisch verorten können“, erklärt der niederländische Buchforscher Adriaan van der Weel. Wir verknüpfen bestimmte Textpassagen mit ihrer Position in einem konkreten Buch. Einig sind sich die Wissenschaftler hier allerdings nicht: Die israelische Kognitionsforscherin Rakefet Ackermann hat herausgefunden, dass dieser Vorteil nur dann wiegt, wenn wir unter Zeitdruck Texte lesen und verstehen müssen.

Und der Nutzen für Ihre interne Kommunikation?

Für vertiefende Inhalte und Hintergründe, vor allem bei wichtigen Veränderungsprozessen oder tiefgreifende Transformationen, bieten sich nach wie vor Printprodukte an. Für schnelle und tägliche Informationen sind digitale Tools geeignet. Dennoch sollte jedes Unternehmen den Aufwand und den Nutzen checken und ihre Kommunikationssituationen und Anlässe analysieren:

  • Welche Nutzungsgewohnheiten haben die Bezugsgruppen? Wie hoch ist die Selbstkontrolle?
  • Was genau wollen Sie mit dem Einsatz eines gedruckten oder digitalen Instruments erreichen? Welche Ziele, Botschaften und Themen wollen Sie vermitteln?
  • Wie flüchtig dürfen die zu vermittelten Informationen sein?
  • Welche Relevanz haben die Inhalte und wie stark sollen die Inhalte verinnerlicht und behalten werden?
  • Wie groß darf der Aufwand bei der Gestaltung der Medien sein?

Ob wir eines Tages nur noch digital lesen werden? Zurzeit bin ich jedenfalls skeptisch: Wir werden – zumindest mittelfristig – noch einen ausgewogenen Medienmix brauchen. Beobachten wir weiter, was uns die Leseforschung (und natürlich nicht nur sie) dazu an neuen Erkenntnissen bringen wird.

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