Ist persönliche interne Kommunikation in digitalen Zeiten angemessen? Für die interne Kommunikation gilt ein klares Ja: Face-to-Face-Instrumente sind kraft- und wirkungsvoll. Persönliche Kommunikation stärkt Vertrauen, schafft Verständnis und ermöglicht unmittelbares Feedback. Vom Zwei-Augen-Gespräch über die Teambesprechung bis hin zur Open-Space-Veranstaltung: Die Bandbreite ist beeindruckend. Aufgabe der internen Kommunikatoren ist es, die Qualität zu steigern und für den Nährboden einer nützlichen Kommunikationskultur zu sorgen.
Zahlen lügen nicht? Dann lassen Sie sich überraschen: Die persönliche Kommunikation ist auch im digitalen Zeitalter das am häufigsten genutzte Instrument der internen Kommunikation. Tendenz steigend. Der „Trendmonitor Interne Kommunikation 2016“ der SCM – School for Communication and Management belegt dies: Mit 98 Prozent liegt das persönliche (Fach-)Gespräch vor der Mitarbeiterversammlung, dem Flurfunk und dem Social Intranet. Andere Studien bestätigen ebenfalls den ersten Platz des persönlichen Gesprächs. Hätten Sie das gedacht? Es ist nur auf den ersten Blick erstaunlich, dass die persönliche Kommunikation neuen Auftrieb erhält und wieder eine Hauptrolle spielt – neben der digitalen Kommunikation. Der zweite Blick zeigt: Die digitalen Medien bringen ein gewisses Maß an Distanzierung im Austausch mit sich, wodurch wir wiederum die Nähe der persönlichen Kommunikation brauchen.
Wer genauer hinschaut, erlebt auch außerhalb des kommunikativen Unternehmensumfelds eine Gegenbewegung zur Digitalisierung. Ist Ihnen der Trend zum Ausmalen oder zum „Handlettering“ aufgefallen? Dieser Gedanke von Bewegung und Gegenbewegung ist nicht neu und wurde von dem deutschen Psychologen Paul Helwig aufgegriffen. Helwig argumentiert, dass jede Bewegung, er nennt es „Prinzip“, erst dann zu einer sinnvollen Wirkung gelangen kann, wenn es in einem positiven Spannungsverhältnis zu einem Gegenprinzip steht. Wir brauchen in der internen Kommunikation beides, um wirkungsvoll kommunizieren zu können: analog und digital, Sprechen und Schreiben, Nähe und Distanz.
Persönliche interne Kommunikation fördert Vertrauen und Glaubwürdigkeit
Die Gegenbewegung – sich verstärkt den persönlichen Kommunikationsformaten zu widmen – sollte in die Hände eines jeden Kommunikators spielen. Persönliche Instrumente haben handfeste Vorteile. Die unmittelbare Nähe, der Aufbau von Vertrauen und damit auch von Glaubwürdigkeit gelingt am besten „face to face“, von Angesicht zu Angesicht. Vertrauen und Glaubwürdigkeit wiederum sind die Basisbausteine, um die Beziehungen der Mitarbeitenden zu stärken. Nur so können sie ihre Zusammenarbeit sinnvoll koordinieren und gestalten. Paul Watzlawick, der große Kommunikationswissenschaftler und Soziologe, formuliert es in seinem zweiten Axiom so: „Jede Kommunikation hat einen Inhaltsund einen Beziehungsaspekt, wobei Letzterer den Ersteren bestimmt und daher eine Metakommunikation ist.“ Gerade der Beziehungsaspekt wird durch den persönlichen Austausch mit dem kompletten Repertoire an verbalen, nonverbalen sowie paraverbalen Möglichkeiten wie Lautstärke, Tempo und Betonung gestärkt.
Verstehen und Verständnis brauchen regelmäßiges Feedback
„Interessant ist , dass besonders die Führungskräfte den persönlichen Austausch schätzen.“
Bei vielschichtigen und mehrdeutigen Themen, wie zum Beispiel bei digitalen Transformationsprozessen, spielt der persönliche Austausch ebenfalls seine Stärken aus. Haben sich alle Beteiligten auf ein gemeinsames Verständnis von Digitalisierung geeinigt? Gibt es Widerstand? Wurden die strategischen Hebel wie beabsichtigt verstanden? Hier geht es in Kommunikationsprozessen nicht um die reine Informationsübermittlung, sondern darum, Beweggründe zu vermitteln, Auswirkungen zu diskutieren, und eventuell sogar darum, Widerstand emotional aufzugreifen und auflösen zu können. Die sofortige Rückkopplung fördert Verstehen und schafft Verständnis – die Hauptfunktion von Kommunikation. Wir sind auf unmittelbares, persönliches, regelmäßiges Feedback angewiesen. Wir müssen erkennen können, ob unsere Botschaften ankommen und unsere beabsichtigte Wirkung auch greift – inhaltlich und emotional. Wir müssen im Gegenüber „lesen können“. Norbert Wiener, amerikanischer Mathematiker, Philosoph und Begründer der Kybernetik, liefert eine Erklärung, warum das Feedback so wichtig ist. „Ich weiß nicht, was ich gesagt habe, bevor ich nicht die Antwort des anderen darauf gehört habe.“
Eine Studie der Akademischen Gesellschaft für Unternehmensführung und Kommunikation unter der Führung von Prof. Dr. Claudia Mast und Dr. Helena Stehle liefert noch weitere Argumente. Die Studie untersuchte die Erwartungen der internen Bezugsgruppe an persönliche Kommunikationsformate und zeigte auf: Der Anstoß zu persönlicher Kommunikation ergibt sich aus bestimmten Situationen. So machen Krisen- und Veränderungssituationen sowie Situationen, die Unsicherheit mit sich bringen, persönliche Kommunikation zwingend erforderlich. Interessant ist dabei, dass besonders die Führungskräfte den persönlichen Austausch schätzen.
Persönliche interne Kommunikation braucht eine neue Qualität
Liest man die Vorteile, könnte man glauben, dass persönliche Kommunikation das Format der Wahl sein sollte. Sie glänzt aber nicht nur, sondern bringt auch Nachteile mit sich. Zum Beispiel ist der Aufwand für eine persönliche Kommunikation über verschiedene Standorte, Länder und über Zeitzonen hoch, wenn nicht sogar fast unmöglich. Persönlich zu kommunizieren kann zeitintensiv sein: Diese Erfahrung macht jeder tagtäglich, wenn er von einem Meeting zum nächsten eilt. Persönliche Kommunikation geht auch nicht zwangsläufig mit tatsächlichem Austausch oder Dialog einher. Offenheit und Wechselseitigkeit kann nur simuliert sein und zur Fassade verkommen, wie die Studie der Akademischen Gesellschaft zeigt.
Die Gründe sind unterschiedlich: Der Zeitaufwand oder kulturelle Barrieren erscheinen zu groß, unvorhersehbare Reaktionen werden befürchtet. Unternehmen, die sich transformieren und verändern wollen, werden auf dem Weg in ein neues – vor allem digitales – Zeitalter den persönlichen Austausch brauchen und die Nachteile angemessen berücksichtigen müssen. Wer sich verändern will, muss bei der persönlichen Kommunikation ansetzen und ihre Qualität verändern. Unternehmen brauchen eine offene, transparente und innovationsfördernde Kommunikationskultur. Das klingt einleuchtend. Kulturen – und damit ganz konkret das Verhalten der Mitarbeitenden – lassen sich aber nicht so leicht ändern. Ideen und Inspirationen aus der Praxis können den Einstieg erleichtern.
Nutzen sie bewährte Formate aus Nachbardisziplinen
Das agile Projektmanagement arbeitet mit Tools, die sich gut in die Unternehmenskommunikation übertragen lassen, z. B. die Timebox. Sie ist ein zeitlicher Rahmen, in dem Besprechungen stattfinden und der nicht überschritten werden darf. Der Gedanke dahinter ist, dass sehr viel konzentrierter und fokussierter gearbeitet wird, wenn es eine Zeitbegrenzung gibt. Im Scrum findet z. B. die tägliche Teambesprechung, der Daily Sprint, mit einer Timebox von 15 Minuten statt. Timebox und Daily Sprint lassen sich einfach einführen.
Nutzen sie die Lebendigkeit und die Energie von Großgruppenkonferenzen
„Großgruppenkonferenzen leben von der besonderen Energie, die für Aufbruchsstimmung oder neuen Anschub sorgt.“
Persönliche Formate können zeitintensiv sein: Rechnen Sie einmal die Personalkosten aus, wenn 500 Mitarbeitende eine Infoveranstaltung von zwei Stunden besuchen. Es braucht einen „Mehrwert“, den Großgruppenformate mit ihren Partizipationsmöglichkeiten bieten. Auch wenn Großgruppen seit Langem in Prozessberatungen eingesetzt werden, sind sie als Repertoire der internen Kommunikation kaum anzutreffen. Dabei treffen sie genau den Zeitgeist: Ein repräsentativer Querschnitt des Unternehmens arbeitet an Lösungen und gewinnt durch die unterschiedlichen Perspektiven und Kompetenzen neue Erkenntnisse. Komplexe Themen, Entscheidungs- und Kommunikationsprozesse lassen sich schneller bearbeiten. Der bemerkenswerte Vorteil: Großgruppenkonferenzen leben von der besonderen Energie, die für Aufbruchsstimmung oder neuen Anschub sorgt. Wenn Sie noch keine Erfahrung haben, starten Sie mit einer kleinen Großgruppe von etwa 20 bis 30 Personen, und werten Sie hinterher gemeinsam Ihre Erfahrungen aus.
Experimentieren Sie mit ungewohnten Kommunikationsformaten
Die Spielregeln für aktives und empathisches Zuhören kennen fast alle. Dennoch unterbrechen sich Menschen gegenseitig, führen Gedankengänge des anderen fort oder lassen sich durch mobile Endgeräte ablenken. Die amerikanische Kommunikationsexpertin Nancy Kline erklärt mit ihrem Ansatz „Time to think“, wie sich Gesprächspartner die ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen lassen können. „Die Art Ihrer Aufmerksamkeit bestimmt die Qualität des Denkens von anderen“, schreibt Nancy Kline. Diese Qualität des Denkens ist wichtig, um innovations- und wettbewerbsfähig zu sein. Eine der Komponenten ihres Ansatzes beschäftigt sich mit „Gleichheit“. Sie geht davon aus, dass wir aufmerksamer zuhören können, wenn wir wissen, dass wir alle die gleiche Redezeit erhalten. Die Wirkung ist verblüffend – probieren Sie es in Ihrer nächsten Teambesprechung aus.
Überprüfen Sie Ihre Grundannahmen
„Beobachten Sie sich, und hinterfragen Sie Ihre Haltungen und Handlungen.“
Allen Gannett, Geschäftsführer eines amerikanischen Marktforschungsunternehmens, überprüfte seinen „Belief“, die Grundannahme oder den Glaubenssatz, dass Texten bzw. Schreiben besser sei als persönliche Gespräche oder Telefonate. Eine Woche lang kontaktierte er seine Gesprächspartner persönlich oder telefonisch. Sein Fazit: Er war effizienter, produktiver und authentischer. Die Produktivitätssteigerung wird durch Studien gestützt: In bestimmten Situationen ist das persönliche Gespräch zu 34 Prozent produktiver als Schreiben.
Beobachten Sie sich, und hinterfragen Sie Ihre Haltungen und Handlungen. Schaffen Sie dann einen konzeptionellen Rahmen, und entwickeln Sie ein strategisches Kommunikationskonzept. Gehen Sie dabei auf Ziele, Bezugsgruppen, Botschaften und Themen ein, und setzen Sie den Aufwand und die erwartete Wirkung in Relation. Die Arbeit mit einem Konzept unterstützt Sie auch, Ihre Ziele und Ihre Ergebnisse zu evaluieren.
Interne Kommunikation bleibt eine Querschnittsfunktion
Eine andere Qualität und Art der persönlichen Kommunikation einzuführen ist ein Veränderungsprozess. Hierfür sind die Rückendeckung der Leitung und das Engagement der Führungskräfte nötig. Da interne Kommunikation eine Querschnittsfunktion bildet, brauchen Sie einen guten Draht zu verschiedenen Schnittstellen, insbesondere zur HR-Abteilung. Sie wird sich vielleicht für die Kommunikationskultur oder Formate wie Großgruppenveranstaltungen verantwortlich fühlen. Wer ist federführend und hat die Richtlinienkompetenz? Sprechen Sie Verantwortlichkeiten und Kompetenzen am besten in einem persönlichen, klärenden Gespräch ab. Schaffen Sie ein Gremium mit allen Schnittstellen, und verbessern Sie Ihre Zusammenarbeit stetig. Gehen Sie doch gemeinsam als Vorbild voran, und probieren Sie andere Formen, z. B. den „Time to think“-Ansatz, aus.
Ein Hoch auf das persönliche Gespräch
„Gestalten Sie den Weg ins und durch das digitale Zeitalter wirkungsvoll – mit persönlichen Kommunikationsformaten.“
Aus der Leseforschung wissen wir, dass einige Leser schon vor Ende eines Beitrags, sei er gedruckt oder digital, aussteigen. Sind Sie noch dran? Diese Frage müssen wir im persönlichen Gespräch meist nicht stellen. Wir werden – bei guter Beobachtung und einer gewissen Empathie – an der Mimik erkennen, ob unser Gesprächspartner gerade aussteigt. Wir können durch Feedback sofort gegensteuern. Schaffen Sie eine Umgebung, die den persönlichen Austausch wertschätzt und fördert. Unterstützen Sie dabei die Führungskräfte, ihre Rolle zwischen Digitalisierung und persönlichen Formaten zu finden und auszufüllen. Zeigen Sie Vor- und Nachteile auf, und diskutieren Sie gemeinsam, z. B. in einer Großgruppenkonferenz, wie eine moderne Kommunikationskultur auszusehen hat. Gestalten Sie den Weg ins und durch das digitale Zeitalter wirkungsvoll – mit persönlichen Kommunikationsformaten.
Dieser Blogartikel erschien erstmals als Leitartikel in BEYOND – Fachmagazin für interne Kommunikation – zum Thema „Über die Bedeutung der persönlichen Kommunikation“.
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