„Wir brauchen mehr Vertrauen!“ – diesen Satz höre ich, seitdem ich mich mit interner Kommunikation beschäftige. Der Ruf wird nicht leiser – im Gegenteil. Durch die Diskussion um „New Work“ und Selbstorganisation, aber auch durch das Arbeiten auf Distanz während der Pandemie erscheint Vertrauen unerlässlich. Wie passend, dass ich die Gelegenheit habe, Frau Prof. Dr. Molthagen-Schnöring zu Vertrauen zu befragen. Sie befasst sich als Kommunikationswissenschaftlerin in Lehre und Forschung mit Kommunikation und ihren Wirkungen. Zudem erlebt sie in der Rolle der Führungskraft als Vizepräsidentin für Forschung und Transfer der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin selbst die Bedeutung von Vertrauen.
Frau Prof. Dr. Molthagen-Schnöring, normalerweise sollten wir davon ausgehen, dass in Unternehmen zunächst grundsätzliches Vertrauen besteht. Mitarbeitende, die neu eingestellt werden, werden sich in den seltensten Fällen vornehmen, sich misstrauisch zu verhalten. Wieso scheint Misstrauen dennoch in vielen Unternehmen zu herrschen?
Zu vertrauen heißt, Kontrolle abzugeben – und das fällt vielen Menschen, insbesondere auch vielen Führungskräften, schwer. Ist es wirklich nötig, bei jeder Mail in „CC“ zu stehen? Muss ich über die Art und Weise, in der Mitarbeiter*innen zu Ergebnissen kommen, genauestens informiert sein? Da Führungskräfte im Zweifel verantwortlich gemacht werden für die Leistungen ihrer Mitarbeiter*innen, gilt häufig immer noch der alte Satz „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“.
Was macht das Loslassen so schwer Ihrer Meinung nach?
Das sehen wir gerade in der Pandemie: Loslassen fällt dann besonders schwer, wenn ich die Mitarbeiter*innen nicht mehr täglich sehe oder nur noch als Kachel im digitalen Raum. Jetzt bin ich als kommunizierende Führungskraft noch mehr gefordert: Ich muss Anlässe für Kommunikation auch außerhalb der offiziellen Sitzung schaffen, in denen ich die Mitarbeiter*innen erlebe, Stimmungen aufnehme usw. Denn loslassen darf ja nicht bedeuten, dass das Band zwischen mir und meinen Mitarbeiter*innen reißt.
Vertrauen ist ein großer, sehr abstrakter Begriff. Wie können wir ihn „brauchbarer“ machen? Welche Definitionen oder Kriterien finden Sie nützlich?
Ich finde die Faktoren der Vertrauenswürdigkeit von Mayer et al. aus dem Jahr 1995 sehr nützlich. Demnach sind Kompetenz, Integrität und Wohlwollen entscheidend für die Zuschreibung von Vertrauen. D.h. ich schätze eine*n Interaktionspartner*in als vertrauenswürdig ein, wenn ich sie oder ihn als fachkompetent, integer und mir gegenüber wohlwollend erlebe. Dies stabilisiert sich durch wiederholte Interaktionen, die ja wiederum einen hohen Anteil an Kommunikation aufweisen. Insofern ist Kommunikation ein ganz entscheidender Faktor beim Aufbau von Vertrauen.
Wie verändert sich die Art des Vertrauens in der virtuellen Kommunikation und Zusammenarbeit?
Die Kommunikation ist konzentrierter geworden, die Arbeit hat sich gefühlt immer mehr verdichtet. Wohlwollen im Sinne eines ganzheitlichen Interesses an den Menschen kann sich nicht mehr beim Small Talk an der Kaffeemaschine oder in der Kantine zeigen. Diese Situationen müssen jetzt bewusst geschaffen werden, z. B. durch einen morgendlichen virtuellen Kaffee, bei dem nicht über die unmittelbar anstehenden Arbeitsaufgaben geredet wird.
Ich erlebe immer wieder den Versuch, Vertrauen einzufordern, z. B. mit Leitbildern. Wieso kann diese Forderung nicht gelingen?
Vertrauen ist etwas zutiefst Menschliches, und es entsteht in Beziehungen. Daher kann es nicht erzwungen oder durch Leitbilder verordnet werden. Aber eine Organisation kann natürlich dafür sorgen, dass das Klima vertrauensfördernd ist, z. B. durch die Art, wie mit Fehlern umgegangen wird.
Was empfehlen Sie zum Umgang mit Fehlern?
Schon der Begriff des Fehlers ist eine Wertung, die oft sehr vorschnell erfolgt und nicht differenziert. Bei der Anwendung neuer Methoden und Verfahren erfolgt Fortschritt ja zu einem großen Maße über „trial and error“. Wenn man das verinnerlicht, ist ein Fehler nichts Schlimmes, sondern er gehört quasi zum Innovationsprozess. Aber natürlich gibt es auch schwerwiegende Fehler, denken Sie nur an medizinische Eingriffe. Ich empfehle also zunächst ein grundlegendes Verständnis für die Art von „Fehlern“ zu entwickeln, die in meinem Unternehmen passieren können, und entsprechende Kommunikationsstrategien – Beteiligte, Timing, Tenor der Kommunikation etc. – zu entwickeln.
Eine Frage, die mir oft gestellt wird: Wie können wir Vertrauen messen? Was sagen Sie dazu?
Als qualitative Forscherin habe ich mit dem Begriff des Messens so meine Probleme. Erst recht bei einem komplexen Konstrukt wie Vertrauen, das man nicht mit einer Ja/Nein-Frage à la „Vertrauen Sie Ihrer Geschäftsführung?“ erfassen kann. Aber ich denke, man kann Vertrauen durchaus operationalisieren, indem man z. B. die erwähnten Indikatoren für Vertrauenswürdigkeit nimmt. Mich interessiert, mehr darüber herauszufinden, was Menschen als vertrauensbildend erleben und wovon dies abhängt. Da kommt man mit einer quantitativen Erfassung nicht weit.
Die Zukunftsforscherin Nora Stampfl hat im Zusammenhang mit Dataveillance beschrieben, dass wir in einem Arbeitskontext mit vollständig gläsernen Mitarbeitenden kein Vertrauen mehr brauchen. Auf der anderen Seite brauchen wir es gerade in dynamischen Umfeldern. Wie sehen Sie diese Gratwanderung?
Damit es überhaupt dazu kommt, benötigen wir VIEL Vertrauen. Wir sehen ja jetzt schon bei den Debatten um den Datenschutz, dass wir noch weit weg sind vom gläsernen Menschen und insbesondere hierzulande ein großes Misstrauen besteht, dass mit unseren persönlichen Daten verantwortlich umgegangen wird. Und möchten wir wirklich immer alles übereinander wissen? Dann bräuchten wir ja auch keine Kommunikation mehr.
Hat sich Ihr Vertrauen geändert, seitdem Sie sich mit Vertrauen beschäftigen? Vertrauen Sie jetzt anders?
Mein Blick ist sicherlich analytischer geworden und ich ärgere mich, wenn der Vertrauensbegriff undifferenziert verwendet wird. Aber ich vertraue meinem Mann noch immer so wie vorher.
Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring
Sie ist seit 2011 Professorin für Wirtschaftskommunikation an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin, deren Vizepräsidentin für Forschung und Transfer sie seit 2019 ist. Nach ihrer Promotion zum Zusammenhang von Unternehmenskommunikation und -kultur war sie in Kommunikationsagenturen in Hamburg und Berlin beschäftigt, zuletzt als Leiterin Strategie. Ihr Schwerpunkt in Forschung und Lehre ist die Schnittstelle von Wirtschafts-, Wissenschafts- und politischer Kommunikation. 2019 hat sie gemeinsam mit ihrem Mann das Buch „Lasst uns reden. Wie Kommunikation in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gelingt“ publiziert.
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