„Wir haben keine Zeit, über eine bessere interne Kommunikation nachzudenken. Wir versinken im Tagesgeschäft“, höre ich öfters. Also erst lenken und dann denken? Das könnte gefährlich werden, besonders bei so einem grundlegenden Thema wie der internen Kommunikation. Die Frage lautet also: Wie könnten wir es schaffen, uns die Zeit zu nehmen und gemeinsam zu denken? Wie könnte unsere Arbeit aussehen, wenn wir uns anders austauschen würden?
Dazu gibt es zwei gute Nachrichten: Zum einen steht das persönliche Gespräch nach wie vor an erster Stelle der meistgenutzten Instrumente in der internen Kommunikation. Gespräche finden also schon statt und bieten einen guten Rahmen. Nun gilt es, den Rahmen zu füllen.
Die zweite gute Nachricht: Es gibt genügend Erfahrungen und Methoden. So gefällt mir zum Beispiel der Ansatz „Thinking Environment®“, den ich kürzlich kennengelernt habe. Er wurde von der US-Amerikanerin Nancy Kline entwickelt, die sich seit fast 40 Jahren mit der Frage beschäftigt, wie sich Denken beflügeln lässt – auch in Unternehmen.
Alles, was wir tun, hängt in seiner Qualität von unserem vorherigen Denken ab.
„Alles, was wir tun, hängt in seiner Qualität von unserem vorherigen Denken ab“, schreibt Nancy Kline. Sie empfiehlt ein Umfeld, ein „Thinking Environment®“, in dem Menschen kreativ miteinander denken und dann entsprechend handeln können. Sie plädiert dafür, Gespräche zu verlangsamen. Dazu gehört, mit einer wertschätzenden, gelassenen Haltung zuzuhören, um einen produktiven Dialog zu ermöglichen. Notwendig dafür sind Empathie, die Bereitschaft, Vielfalt zuzulassen sowie die Fähigkeit, gute und perspektivöffnende Fragen zu stellen.
Zehn Regeln für eigenständiges Denken und eine gelungene Kommunikation
Nancy Kline gibt in ihrem Ansatz „Time To Think“ zehn Regeln für eigenständiges Denken und eine gelungene Kommunikation mit auf den Weg. „Thinking Environment®“ und die zehn Komponenten sind übrigens eine registrierte Marke, wie Sie sicher bemerkt haben.
10 Komponenten
- Aufmerksamkeit: Zuhören mit Respekt, Interesse und Faszination
- Incisive Questions™ (einschneidende Fragen): Beseitigung von Annahmen, die Ideen einschränken
- Gleichheit: Gleichbehandlung aller in Bezug auf das Denken
- Wertschätzung: Fünf-zu-eins-Verhältnis von Anerkennung zu Kritik
- Gelassenheit: Befreiung von Hetze und Dringlichkeit
- Ermutigung: Den Wettbewerb hinter sich lassen
- Gefühle: Zulassen von Gefühlen, um sich zu erleichtern und das Denken wieder fruchtbar zu machen
- Information: Bereitstellung eines vollständigen und genauen Bildes der Realität
- Ort: Schaffung einer konkreten Umgebung, die dem Menschen widerspiegelt: „Du bist wichtig“
- Diversität: Qualitative Verbesserungen aufgrund der Unterschiede zwischen den Menschen
Mitte Januar wurde ich gemeinsam mit anderen Kommunikations- und Organisationsberatern und -beraterinnen von Nancy Klines Kollegin zu ihrem Ansatz unterrichtet. Er klingt einfach, braucht jedoch Übung. Zwei der Komponenten sprechen mich besonders an: Aufmerksamkeit und Gleichheit.
„Die Art Ihrer Aufmerksamkeit bestimmt die Qualität des Denkens von anderen.“
Die größten Stolpersteine beim Denken sind laut Nancy Kline unsere mangelnde Bereitschaft zuzuhören und die fehlende Aufmerksamkeit unserem Gesprächspartner gegenüber. Wir kennen das alle: Menschen unterbrechen sich gegenseitig, führen Gedankengänge des anderen fort oder blicken während des Gesprächs aufs Smartphone.
Selbst in einer Hierarchie können die Menschen als denkende Personen auf Augenhöhe sein.
Mangelnde gegenseitige Wertschätzung führt zu einer Atmosphäre, in der keine produktiven Gedanken entstehen können. „Die Art Ihrer Aufmerksamkeit bestimmt die Qualität des Denkens von anderen“, schreibt Nancy Kline.
Es geht also darum, dem Gesprächspartner die ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Diese Haltung unterscheidet sich leicht von der Methode „aktives Zuhören“: Die Zuhörer sollen nicht durch Mimik, Gestik oder Paraphrasieren bewerten oder unterbrechen. Mir fiel es in den Übungen nicht leicht, ohne zustimmende Gestik, zustimmendes „Mmh, mmh“ oder interessierte Frage zuzuhören.
„Zu wissen, dass man an die Reihe kommt, verbessert die Qualität des Zuhörens.“
Die zweite Komponente, die ich besonders interessant finde, ist „Gleichheit“. Nancy Kline geht davon aus, dass wir aufmerksamer zuhören können, wenn wir wissen, dass wir alle die gleiche Redezeit erhalten. Und tatsächlich: In der Übungsphase konnte ich mich viel besser auf mein Gegenüber einstellen. Ich war nicht damit beschäftigt, zu überlegen, wann ich meine eigenen Gedanken am besten einbringe.
Und im Alltag? Wie schaffen wir es, diese Art von Kommunikation und Denken in unseren Alltag zu integrieren? Eine Auseinandersetzung mit dem Ansatz und den zehn Komponenten von Nancy Kline, wovon ich nur einen Mini-Ausschnitt erläutert habe, ist hilfreich. Einen Buchtipp finden Sie am Ende des Artikels.
Sie können aber auch sofort einsteigen, an Ihrer zuhörenden Haltung arbeiten und sich beobachten. Dafür können diese Fragen hilfreich sein:
Reflexionsfragen zur Haltung
- Mit welcher Haltung höre ich dem anderen zu?
- Glaube ich, dass mein Gegenüber tatsächlich etwas Interessantes zu sagen hat, oder meine ich, es besser zu wissen?
- Falle ich meinem Gesprächspartner ins Wort, weil ich denke, dass meine Idee besser ist als seine?
- Spreche ich seine Gedanken zu Ende, weil ich zu wissen meine, was er sagen will?
- Werde ich unruhig, weil ich finde, dass der andere zu langsam spricht?
- Bin ich mit meiner Aufmerksamkeit tatsächlich beim Sprechenden oder sind meine Gedanken bei anderen Themen?
Und im Unternehmen? Die Einführung eines „Thinking Environments®“ im Unternehmen wäre – je nach Kultur – ein herausfordernder Akt und eine neue Art der Kommunikation. Der einfachste Schritt für mich ist das Erproben mit einer sogenannten Runde („Round“) in der nächsten Teambesprechung.
Die Spielregeln
- Jedes Teammitglied erhält die gleiche Redezeit, z. B. zwei Minuten.
- Alle Teilnehmer sprechen der Reihe nach. Ein Freiwilliger beginnt, und dann entscheidet die Gruppe die Richtung. Teilnehmer können passen, wenn sie nichts sagen wollen.
- Der Redner wird nicht unterbrochen und schöpft die zwei Minuten aus. Hat er nichts zu sagen, schweigt er. Vielleicht kommt ihm doch noch ein Gedanke.
- Die Zuhörenden schenken ihm ihre volle Aufmerksamkeit.
- Am besten arbeiten Sie mit zwei Gesprächsrunden: In der ersten Runde wird ein positiver Aspekt angesprochen, z. B. „Was ist seit unserem letzten Treffen besonders gut gelaufen?“ In der zweiten Runde wird der erste Tagesordnungspunkt der Teambesprechung aufgegriffen und Aspekte oder Ideen zur Verwirklichung gesammelt. Eine Diskussion über die einzelnen Punkte darf erst stattfinden, wenn alle gesprochen und ihre Redezeit ungestört genutzt haben.
Die Haltung des Zuhörens hat mich überrascht. Ansonsten sind mir Aspekte dieses Ansatzes schon begegnet: Die Art des lauten Denkens zum Beispiel erinnert mich an Heinrich von Kleist, der in einem Brief Anfang des 19. Jahrhunderts „über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ schrieb. Oder die „Incisive Questions“, die sie beschreibt, lassen mich an die sokratischen Dialoge oder die systemischen Fragetechniken denken.
Auch wenn die Erkenntnisse des Ansatzes nicht komplett neu sind, bietet er doch eine gute Gelegenheit, sich erneut mit der Kommunikationskultur auseinanderzusetzen. Ich bin überzeugt, dass eine entwickelte und wirksame interne Kommunikation eines der „Hauptwerkzeuge“ im Unternehmen ist, um den Anforderungen von morgen zu begegnen.
Weiterlesen? Weiterdenken?
Das persönliche Gespräch ist das meistgenutzte Instrument in der internen Kommunikation. Das sagt nicht nur meine Erfahrung, der Trendmonitor „Interne Kommunikation der scm belegt dies regelmäßig mit Zahlen.
Das Buch von Nancy Kline habe ich im Text bereits erwähnt. Es ist leicht zu lesen und bietet viele Ideen für eine bessere Kommunikations- und Besprechungskultur: Nancy Kline; Time to think: Zehn einfache Regeln für eigenständiges Denken und gelungene Kommunikation Taschenbuch; Rowohlt Taschenbuch Verlag; 2016
„Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ ist ein Prosastück von Heinrich von Kleist. Die Grundlage soll ein Brief sein, den er um 1805 an einen preußischen Generalleutnant schrieb. Er empfahl ihm: „Wenn du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir, mein lieber, sinnreicher Freund, mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu sprechen. Es braucht nicht eben ein scharfdenkender Kopf zu sein, auch meine ich es nicht so, als ob du ihn darum befragen solltest: nein! Vielmehr sollst du es ihm selber allererst erzählen.“ Haben Sie Lust, das komplette Stück zu lesen? Ich habe es in diesem Buch (Seite 290) gefunden, welches es allerdings nur noch antiquarisch gibt: Heinrich von Kleist; Erzählungen, Anekdoten und kleiner Prosastücke; bibliotheca christiana; 1976
Herzlichen Dank für den äusserst spannenden Einblick in das Thema! Gerade in der digitalen Zeit finde ich es wichtig, dass das persönliche Gespräch immer noch wertgeschätzt wird und zum Einsatz kommt. Spannend finde ich die Aufmerksamkeitskomponente im Gespräch von Nancy Kline. Habe ich das richtig verstanden, dass man laut ihr kein bestätigendes Nicken oder andere Signale von sich geben darf, wenn man dem Gegenüber zuhört? Das braucht bestimmt viel Übung und Selbstkontrolle!
Lieber Herr Dr. Mattmann,
ja, Sie haben richtig verstanden. Ein interessanter Ansatz – oder? Und ja, ich finde auch, dass es viel Übung und Selbstkontrolle und auch Selbstbeobachtung braucht.
Herzliche Grüße aus Berlin und kommen Sie gut in das neue Jahr.
Ulrike Führmann