Mit Abstand auf die aktuelle Krisensituation blicken

Analysetool für die interne Krisenkommunikation

„Business as usual“ in Krisenzeiten? Das fällt vielen von uns sicherlich schwer – auch mir. Meine Gedanken wandern immer wieder in die Ukraine. Ergeht es Ihnen ähnlich? Und dennoch: Gerade jetzt muss die interne Krisenkommunikation funktionieren. Vor allem, wenn Ihre Organisation unmittelbar durch den Krieg betroffen ist. Vielleicht beantragen Sie gerade Kurzarbeit, weil Sie wegen unterbrochener Lieferketten nur eingeschränkt arbeiten können? Sind Sie von den Sanktionen betroffen? Oder vielleicht beschäftigen Sie auch Mitarbeitende in der Uraine und in Russland?

Krisenzeit = Konzeptionszeit

Krisenzeiten verlangen generell nach einer schnellen, zuverlässigen und glaubwürdigen Kommunikation. Mitarbeitende benötigen Klarheit, Orientierung und vielleicht auch Trost. Bei Ihrer Kommunikation hilft Ihnen – auch wenn es für einige Ohren eigenartig klingt – die Arbeit mit einem Kommunikationskonzept, vor allem die genaue Analyse der aktuellen Krisensituation. Sie schaffen dadurch Distanz zur Krise und somit die Grundlage für ziel- und bezugsgruppengerechte Botschaften und für die nächsten Kommunikationsschritte.

Hilfreich ist es, wenn Sie die Konzeptionsarbeit bereits kennen: Die Schritte im konzeptionellen Vorgehen sind ähnlich – egal ob es sich um Krisen-, Veränderungs- oder Regelkommunikation handelt. Das Tempo ist natürlich anders – und die Analysearbeit auch. Die üblichen Analysetools der internen Kommunikation, wie z. B. die Status- oder die SOFT-Analyse, reichen für die Krisenkommunikation nicht aus.

Situations-Analyse in Krisenzeiten

Ich empfehle Ihnen daher für Ihre Analysearbeit die sogenannte „Situations-Analyse in Krisenzeiten“. Sie ist schnell erklärt, eingängig und bietet ein gutes Bild, um weitere Schlüsse abzuleiten, also z. B. Ziele, Bezugsgruppen oder Botschaften.

Wer die Arbeit mit Analysetools gewohnt ist, erkennt die Struktur der vier Felder. In dieser Situations-Analyse finden wir ebenfalls vier Felder vor, die sich aus zwei Polen ergeben:

  • Ressourcen – Risiken
  • Innen – Umfeld

Wir setzen also vier „Analysebrillen“ auf und befüllen vier Felder mit unseren Faktoren:

interne Ressourcen = Stärken

Hier geht es darum, welche Stärken Sie der Krise entgegensetzen können. „Eigene Rettungskräfte“ nannte Klaus Schmidbauer, mein verstorbener Buchpartner, diese Stärken auch. Welche Kräfte können Sie also für die Kommunikation nutzen? Dies können zum Beispiel Führungskräfte und Mitarbeitende sein, die die Krise eindämmen oder abfedern. Bisherige Erfahrungen, Kompetenzen, aber auch Routinen zählen ebenfalls dazu. Oder auch bestehende und verlässliche Kommunikationsstrukturen.

Ein konkretes Beispiel für eine Stärke: Der Unternehmenswert „Zusammenhalt“ zeigt sich in der Krise als belastbar und leitend für den Umgang mit den ukrainischen, aber auch mit den russischen Mitarbeitenden.

interne Risiken = Stolpersteine

Hier werden interne Stolpersteine aufgelistet, die eine Lösung der Krise behindern könnten. Sie sollten in der Kommunikation unbedingt beachtet und bearbeitet werden. Ansonsten könnte sich die Krise noch verstärken.

Ein Stolperstein kann zum Beispiel die Sorge der Mitarbeitenden um ihre Kolleginnen und Kollegen vor Ort sein. Diese Sorge muss aufgegriffen und mit Fingerspitzengefühl angesprochen werden.

externe Ressourcen = Potenziale

Hierbei handelt es sich um externe Faktoren, auf die Sie nur unmittelbar Einfluss haben, die aber eine abfedernde Wirkung auf die Krise haben können. Klaus Schmidbauer nannte diese Faktoren auch „externe Hoffnungsträger“. Hoffnungsträger können z. B. Personen, ein bestimmtes Verhalten oder günstige Umstände sein.

Ein Beispiel: Das benachbarte Unternehmen steckt in der gleichen Situation und hat ein funktionierendes Krisensystem aufgebaut. Ein schneller und unterstützender Austausch wäre möglich.

externe Ressourcen = Bedrohungen

Bedrohungen sind Faktoren, auf die Sie keinen direkten Einfluss haben, die aber die Krise verstärken können. Sie müssen sie gut im Auge behalten: Bedrohungen können sich schnell ändern.

Eine Bedrohung könnte zum Beispiel sein, dass Ihnen noch keine geprüften Informationen der Krisenlage vorliegen. Oder auf den Social-Media-Kanälen erscheinen erste negative Beiträge, die eine Sogwirkung erzeugen könnten.

Kein Aktionismus!

Auch wenn es menschlich ist und die Zeit drängt: Krisenkommunikation braucht einen kühlen Kopf. Schalten Sie nach dem ersten Schrecken von „kopflos“ auf Denken um. Dabei hilft Ihnen  die Arbeit mit diesem Analysetool. Arbeiten Sie dabei nicht allein, sondern nutzen Sie unterschiedliche Perspektiven, vor allem die der Betroffenen.

Widerstehen Sie dem Zeitdruck.

Sie haben keine Zeit für eine Analyse, weil der Zeitdruck zu groß ist? Widerstehen Sie ihm. Das Befüllen braucht weniger Zeit als Sie denken. In einer Stunde kann mit einem Team bereits viel zusammengetragen werden. Die verloren geglaubte Zeit werden Sie in der Strategie, also bei der Formulierung der Ziele, der Bezugsgruppen und Botschaften wieder hereinspielen.

Ihnen liegen noch keine geprüften Informationen vor? Dann arbeiten Sie zunächst mit Arbeitshypothesen, die Sie nach und nach unterfüttern können.

Krisenkommunikation bedeutet ständige Aktualisierung.

Die Situationsanalyse einmal befüllt, und alles ist gut? Das reicht natürlich nicht. Je nach Krisenthema werden sich die Faktoren verändern und wirken somit anders auf die Kommunikation. Sie müssen also regelmäßig „ran“.

Wie oft Sie die Analyse aktualisieren müssen, lässt sich allerdings nicht pauschal beantworten. Die Häufigkeit hängt vom Thema und von der aktuellen Bedrohung ab.

Krisenkommunikation braucht den internen und externen Blick.

Egal, ob eine Krise interne oder externe Ursachen hat: Sie wird in den meisten Fällen in beide Richtungen wirken. Stimmen Sie deswegen die Situations-Analyse mit allen Verantwortlichen der anderen Kommunikationsdisziplinen ab.

Krisenkommunikation braucht Kraft.

Denken Sie in der Krisenzeit auch an Ihre eigene Kraft und an die Ihres Teams. Dafür können Sie diese Analyse auch nutzen. Die Fragestellungen sind ähnlich:

  • Stärken: Was tun Sie selbst, um sich zu stärken und um gut durch die Tage zu kommen? Welche Rituale helfen Ihnen zum Beispiel?
  • Stolpersteine: Mit welchen Glaubenssätzen, Gedanken oder Handlungsweisen schwächen Sie sich selbst?
  • Potenziale: Wer oder was stärkt Ihnen den Rücken, z. B. ein unterstützendes Gespräch?
  • Bedrohungen: Welche (externen) Faktoren rauben Ihnen Kraft, z. B. der extreme Zeitdruck?

Überlegen Sie dann, wie Sie Ihre Kraftquellen ausbauen und wie Sie die Energieräuber eindämmen können. Vielleicht haben Sie aber bereits ausreichend „Kraftfutter“? Das sind die Momente, die zur Dankbarkeit einladen – finde ich!

Nie wieder Krieg!

Nie wieder Krieg – so steht es auf einem Plakat, das die kleine Nachbarstochter beschriftet und in den Flur gestellt hat. Das wünsche ich den Kriegsbeteiligten und uns allen auf dieser Welt.

In der Hoffnung auf baldigen Frieden grüße ich Sie aus Berlin.

Ulrike Führmann

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