Die Mitglieder unserer Gesellschaft werden systematisch überwacht. Die Sache an sich ist nicht neu, wohl aber das Ausmaß. Bekannt ist auch, dass einige Unternehmen ihre MitarbeiterInnen ausspionieren. Erinnern Sie sich an den Skandal bei der Deutschen Bahn, der im Frühjahr 2009 hochkochte und Hartmut Mehdorn seinen Posten kostete? Die Deutsche Bahn hatte MitarbeiterInnen auf Korruptionsverdacht überprüfen lassen – mit umstrittenen Methoden.
Die Grenzen zwischen rechtskonformen Kontrollen (Compliance) und einer ethisch, moralisch und rechtlich nicht vertretbaren Überwachung sind nicht immer eindeutig. Die Diskussion um den Arbeitnehmerdatenschutz wird im Jahr 1 nach Edward Snowden sicherlich weiter an Fahrt aufnehmen.
Imageschaden und der mögliche Verstoß gegen das Datenschutzgesetz sind zwei Aspekte von Überwachung und Bespitzelung. Wie aber wirken sie auf MitarbeiterInnen?
Überwachung führt zu angepasstem Verhalten.
Wer schon einmal beim Stöbern im Laden von einem Verkäufer mit Argusaugen beobachtet wurde, kennt das Phänomen: Unbehagen macht sich breit, das Gefühl, als Ladendieb verdächtigt zu werden, obwohl kein Verdachtsmoment vorliegt. Man verhält sich betont unauffällig, was allein schon auffällig ist.
MitarbeiterInnen ergeht es bei tatsächlicher oder vermeintlicher Überwachung ähnlich: Sie benehmen sich so, wie ihre Führungskräfte es ihrer Meinung nach erwarten. Antizipatorische Konformität nennen das die Fachleute, wohinter sich nichts anderes verbirgt als vorauseilender Gehorsam. Die Folge: Eine solche Mentalität ist abträglich für Kreativität und Spontanität; der Innovationsprozess leidet, zumal Überwachung bereits vorhandene Regeln und Verbote verfestigt. Ein Teufelskreis!
Überwachung kann zu Stress führen.
Wissenschaftler vermuten, dass im menschlichen Gehirn Neuronen aktiv sind, die speziell auf Signale von beobachtenden Augen und Gesichtern reagieren. Dabei genügen erschreckenderweise bereits Bilder von beobachtenden Augen, um eine Verhaltensänderung zu bewirken. (Hier drängt sich mir die Frage auf, wie sich BeamtInnen mit dem Bild des Bundespräsidenten im Rücken fühlen und arbeiten.)
US-Studien weisen nach, dass ArbeitnehmerInnen, die elektronisch überwacht werden, z. B. in Callcentern, höheren Stress empfinden und gesundheitliche Beschwerden zeigen. Durch den Stress verengt sich die Wahrnehmung und beleuchtet verstärkt das, was die Bedrohung auslöst. Ein weiterer Teufelskreis! Allerdings fühlen nicht alle MitarbeiterInnen so: Sofern die Art der Überwachung und ihre Ziele klar und transparent sind, muss Überwachung nicht unbedingt Stress auslösen. Das gilt besonders, wenn sie an einen Anreiz, eine Beförderung oder ein persönliches Feedback geknüpft ist.
Überwachung führt zu Misstrauen.
Vermutete oder tatsächliche Überwachung verhindert das Entstehen vertrauensvoller Arbeitsverhältnisse. Unternehmen sind aber auf Vertrauen als sozialen Kit angewiesen, denn ohne dieses gibt es keine effektiven Arbeitsbeziehungen, keine effektive Zusammenarbeit und keine effektiven Abstimmungen. Überwachung schafft Misstrauen und vergiftet sämtliche Poren des Unternehmens – der komplette interne Informations- und Kommunikationsfluss leidet.
Vorbeugung durch Aufklärung.
Unternehmenslenkern und Führungskräften muss klar sein, wie schmal der Grat zwischen gerechtfertigter Kontrolle und unethischer Überwachung ist und welche Konsequenzen möglich sind. Die Verantwortlichen für die interne Kommunikation und für Personalfragen sollten konsequent auf die Folgen und den immateriellen Schaden hinweisen. Eine Unternehmenskultur lässt sich schnell zerstören, aber nur mühsam wieder aufbauen.
Tiefer einsteigen?
Denjenigen, die tiefer in das Thema einsteigen wollen, empfehle ich die Homepage des Surveillance Studies Network. Das in Großbritannien ansässige, international arbeitende Netzwerk forscht seit Jahren zu den Auswirkungen von Überwachungen – im privaten und im beruflichen Umfeld. Hier finden Sie aktuelle Berichte und Forschungsergebnisse.
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