Die VW-Krise und die Forderung nach einer neuen Führungskultur sind für mich ein willkommener Anlass, um über das Thema Kulturveränderung zu schreiben. Aber wo soll ich bei diesem weiten Feld ansetzen und den thematischen Schwerpunkt wählen? Eine Blitzumfrage in meinem Netzwerk soll mir bei der Ideenfindung helfen: „Was verbindet ihr mit Kultur?“, frage ich neugierig – und eine Welle des Zynismus schlägt mir entgegen. „Eine neue Sau wird durchs Dorf getrieben“, höre ich, oder: „Wir haben gerade einen Leitbildprozess hinter uns. Dabei haben wir ‚Des Kaisers neue Kleider‘ inszeniert und gespielt, was der Vorstand hören wollte.“ „Unsere Wertediskussion. Viel Geld für nichts.“ Autsch. Mit diesen ablehnenden Reaktionen hatte ich nicht gerechnet – aber zumindest hatte ich nun einen Aufhänger für diesen Blogartikel. Ich überlegte, was die (Haupt-)Gründe dafür sind, dass Kulturveränderungen scheitern. Das sind meine Erfahrungswerte:
Fehlendes Verständnis – Kultur ist mehr als Werte
„Ein Fisch spürt erst dann, dass er Wasser zum Leben braucht, wenn er nicht mehr darin schwimmt. Unsere Kultur ist für uns wie das Wasser für den Fisch. Wir leben und atmen durch sie.“ Die Metapher des niederländischen Wissenschaftlers Alfons Trompenaars beschreibt anschaulich, wie schwer Kultur sprachlich und „dinglich“ zu fassen ist.
Kultur ist mehr als eine Wertediskussion und ein ansprechend gestaltetes Leitbild.
Kultur ist mehr als eine Wertediskussion und ein ansprechend gestaltetes Leitbild. Kultur beschreibt unsere Grundannahmen, Einstellungen und Gewohnheiten, die so selbstverständlich geworden sind, dass wir sie kaum noch hinterfragen. Hinterfragen und Reflexion sind aber notwendig, um sich überhaupt verändern zu können.
Fehlender Sinn – Kultur braucht Zweck und Ziel
Kulturveränderungen sind kein Selbstzweck, sondern brauchen einen Sinn und mindestens ein Ziel, zumindest eine Orientierung, wohin die Kulturreise gehen soll. Die Ziele dürfen nicht zu starr sein, sondern sollten Flexibilität und Handlungsspielraum für die Beteiligten bieten. Außerdem müssen sie ebenso wie der Sinn zur Vision und zur Unternehmensstrategie passen. Auch falls es manchmal den Anschein hat, als gäbe es sie nicht – Unternehmenssinn und -ziele sind implizit immer vorhanden und müssen ggf. explizit, also besprechbar gemacht werden. Ganz wichtig ist auch, dass die Beteiligten sich darauf verständigt haben, dass das Bestehende so nicht mehr funktioniert und dass „etwas Neues“ benötigt wird. Ansonsten fehlt der Motor, die Motivation.
Fehlende Prozessstrukturen und Systematik – Kultur braucht Change Management
Eine Kulturveränderung braucht klare Strukturen, einen Ablaufplan und eine Infrastruktur mit klaren Verantwortlichkeiten. Oft ist der (interne) Auftraggeber gar nicht ersichtlich oder der Auftrag schwammig: „Sie sind jetzt für die Kulturveränderung zuständig. Melden Sie sich in drei Monaten wieder.“ Kulturveränderungen benötigen zudem einen internen Projektleiter, der sich mit dem Thema auskennt, die Dynamiken richtig einschätzt und Standing hat, um als Anwalt für den Prozess einzutreten.
Management und Planung dürfen dabei nicht überschätzt werden – Veränderung bedeutet Umgang mit Dynamiken.
Management und Planung dürfen dabei nicht überschätzt werden – Veränderung bedeutet Umgang mit Dynamiken, die nicht auf dem Ursache-Wirkungs-Prinzip beruhen. Eine iterative Planung und die Begleitung von Veränderungen ist möglich, ein „rein“ lineares Managen aber nicht.
Fehlende Kommunikation – Kultur braucht Austausch und Interaktion
Kulturen verändern sich nicht durch Proklamation oder ein gedrucktes Leitbild, sondern bei Kulturveränderungen geht es vielmehr um Verstehen, Einsicht und Reflexion sowie darum, zu „verlernen“ und neu zu lernen. Ein lebendiger und persönlicher Austausch sorgt dabei für andere Perspektiven. Konflikten sollte man dabei nicht aus dem Weg gehen, sondern sie offen ansprechen und nach Lösungen suchen. Soziale Medien können den Kommunikationsprozess unterstützen, ersetzen aber nicht das persönliche Gespräch.
Fehlende Ressourcen – Kultur braucht Zeit und Energie
Kulturveränderungen brauchen Zeit. Je stärker die alten Muster verankert sind, desto länger kann der Veränderungsprozess dauern. Auch wenn er scheinbar gut anläuft: Rückfälle sind normal.
Auch wenn der Veränderungsprozess scheinbar gut anläuft: Rückfälle sind normal.
Der Prozess sollte von jemandem betreut werden, der regelmäßig auf ihn schaut, sich verantwortlich fühlt und ihn immer wieder mit neuen Impulsen und Energie versorgt. Dieser Jemand ist in der Regel der interne Projektleiter mit der Rückendeckung seines Auftraggebers.
Fehlende „Menschlichkeit“ – Kultur braucht den Menschen als Mittelpunkt
Menschen gestalten Veränderungen – oder auch nicht. Beharrlichkeit und Widerstände gehören zu einer Kulturveränderung dazu und dürfen nicht ignoriert oder schöngeredet werden. Mitarbeitende bzw. überhaupt alle Menschen mögen es nicht, wenn über ihren Kopf hinweg entschieden wird und sie das Gefühl haben, zum Spielball zu werden. Sie wollen am Prozess beteiligt werden.
Alle Beteiligten müssen sich also über folgende Punkte verständigen:
- Was ist Kultur überhaupt? Was bedeutet das für uns?
- Ist allen Beteiligten klar, dass mit Dynamiken zu rechnen sind, die nicht vorausgesagt können?
- Was wollen wir mit einer Kulturveränderung erreichen? Lohnt es den Aufwand?
- Haben wir eine klare Prozessstruktur mit einem Auftraggeber und einem Projektleiter?
- Sind wir reflektiert genug und tauschen wir uns ausreichend aus?
- Haben wir genug Geduld, Zeit, Personal und Energie?
- Stehen die Mitarbeiter/innen im Mittelpunkt und sind sie genügend eingebunden und beteiligt?
Eine Kulturveränderung ist wie eine Reise in ein unbekanntes Land: Die Reisenden brauchen einen offenen Blick, viel Neugierde, etwas Mut, eine gute Vorbereitung und eine große Portion Gelassenheit, um mit Überraschungen und Ungeplantem umgehen zu können. Wie wohl VW diese Reise gelingen wird? Wir werden medial sicherlich gut auf dem Laufenden gehalten.
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