Vom Umgang mit der Angst in Veränderungsprozessen
Kürzlich las ich wieder: Für Veränderungsprozesse in Unternehmen ist der Umgang mit den Emotionen, besonders der Angst, eine Grundbedingung. Als Empfehlung wurde eine konsistente, konsequente und kontinuierliche interne Kommunikation ausgesprochen. So einfach, wie es klingt, finde ich das aber nicht.
Die Keule aus der Steinzeit
Angst gehört als Basisemotion zu unserem biologischen Grundsystem. Die Evolution schlägt erbarmungslos zu, wenn wir uns bedroht fühlen. Unseren Urahnen sicherte dieser Instinkt das Überleben. Und auch heute singen einige Wissenschaftler ein Loblied auf die Angst: Sie schärft den Verstand, um kritischen Situationen besser begegnen zu können. Der SPIEGEL widmete dem Thema vor einigen Jahren eine Titelgeschichte (Ausgabe 41/2010) . Die Lektüre lohnt sich vor allem wegen der neurobiologischen Informationen.
Unsere Vorfahren flohen bei Gefahr, kämpften oder stellen sich tot. Veränderungsprozesse sollten im 21. Jahrhundert selten lebensbedrohlich sein, dennoch fährt das evolutionspsychologische „Angstprogramm“ ab. Heute ist die subtilere Form, mit der Bedrohung umzugehen oft Widerstand, z.B. durch Verharmlosung oder dominantes Verhalten.
Mit Akzeptanz
Der erste Schritt im Umgang mit der Angst besteht darin, sie als biologisches Evolutionserbe anzunehmen und nicht mit Schönwetterreden wegzudiskutieren. Dabei finde ich es gar nicht so einfach, Angst zu erkennen. Wer gibt im professionellen Rahmen schon offen zu, dass er Angst hat? Und manchmal kann dieses Gefühl auch gar nicht treffend erkannt und benannt werden!
Mit Ursachenforschung
Angst und Widerstand ist immer ein Signal dafür, dass der Veränderungsprozess blockiert ist. Es gilt herauszufinden, wo die ganz persönliche Ursache für die Angst liegen könnte (das schreibt sich einfach!). Jeder Mensch reagiert anders auf Veränderung – je nach Veranlagung und Erfahrung. Handelt es sich um Angst (diffus und unkonkret) oder um Furcht (konkret)? Geht es um Überforderung, Status- oder Arbeitsverlust? Sind andere Möglichkeiten oder Handlungsspielräume denkbar? Oder gibt es tatsächlich Warnsignale, die übersehen wurden und den geplanten Veränderungsprozess ins Straucheln bringen könnten?
Mit Fingerspitzengefühl
Sofern die Gründe nicht ins Auge springen (was sie selten tun werden), helfen Gespräche, um Bedürfnisse und Erwartungen herauszufinden. Sie sind aber nur möglich, wenn sich die Gesprächspartner vertrauen und wenn zumindest einer von ihnen – das sollte die Führungskraft sein – die Regeln guter Gesprächsführung beherrscht. Ist das nicht der Fall, fehlt eine wichtige kulturelle Bedingung im kompletten Prozess: Glaubwürdigkeit und Vertrauen. (Der Aufbau von Glaubwürdigkeit und Vertrauen könnte natürlich auch der Gegenstand eines Veränderungsprozesses – also eine Kulturveränderung – sein. Das wird dann aber komplizierter!)
Mit Veränderungskompetenz
Neben kulturellen Faktoren wie Glaubwürdigkeit und Vertrauen beeinflussen viele andere Faktoren den Prozess – organisatorische und strukturelle, kulturelle, soziologische und psychologische – und machen ihn komplex. Es bedarf einer umfassenden Kompetenz im Begleiten von Veränderungsprozessen, um den Überblick zu behalten, die Auswirkungen zu kennen und einzuschätzen und eingreifen zu können. Ein gutes Kommunikationsmanagement gehört ebenfalls zum Rahmen, reicht alleine aber nicht aus.
Mit interner Kommunikation von Anfang an
Der Veränderungsprozess muss von Anfang an kommunikativ begleitet werden. Am besten von jemandem, der sich mit internen Kommunikationsprozessen auskennt.
„Von Anfang an“ heißt: bereits in der Vorplanung, bevor der Prozess in die sogenannte Auftauphase startet. Eine begleitende Kommunikationskampagne mit der Veränderungsbotschaft und einer konsistenten, konsequenten und kontinuierlichen Kommunikation (Die Klammer schließt sich jetzt!) ist wichtig. Genauso wichtig ist die Verständigung über den Prozess selbst, der moderiert werden muss. Also zum Beispiel die Diskussion über Fragen wie: Sehen alle das gleiche Problem? Gibt es ein gemeinsames Verständnis zu den Ursachen? Sehen alle das gleiche Ziel?
Und die Angst?
Die Angst ist in Veränderungsprozessen nicht die einzige Emotion. Sechs weitere Grundemotionen können auch noch beteiligt sein: Traurigkeit, Wut, Verachtung, Ekel, Überraschung und Freude. Die Variationen dazu sind unendlich. Das könnte ein anderer Artikel werden …
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